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Behandlung eines Hirntumors Glioblastom - Temsirolimus - einstweiliger Rechtsschutz

Patienten, die an einem Glioblastom erkrankt sind haben unter gewissen Voraussetzungen Anspruch auf eine Behandlung mit Bevacizumab (Avastin®) bzw. Temsirolimus (Torisel®). Dies zeigen zwei aktuelle Gerichtsentscheidungen.

Sozialgericht  Duisburg am 14.4.2022  - S54 KR 516/22 ER

Das Sozialgericht  Duisburg hat unter dem 14.4.2022  - S54 KR 516/22 ER - eine einstweilige Anordnung erlassen, nach der die GKV verpflichtet ist, den Antragsteller mit zwölf Gaben Temsirolimus nach Verordnung der behandelnden Ärzte zu versorgen.

Sachverhalt

Der Antragsteller ist an einen Hirntumor erkrankt und  chemo- sowie radiotherapeutisch austherapiert. Nachfolgend erfolgte zwei Jahre lang eine Versorgung mit Avastin bzw. Bevacizumab, bis es zu einem erneuten Progress kam. Die begehrte Behandlung mit Temsirolimus hat die GKV abgelehnt.

Entscheidungsgründe

Gemäß § 2 Abs. 1 SGB V haben Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechenden Leistung nicht zur Verfügung steht, einen Anspruch auf Leistung, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder  auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.

Das Gericht hat sich der Auffassung angeschlossen, dass aufgrund von Studien eine Verlängerung der Lebenserwartung von mehreren Monaten durch die Behandlung mit Temsirolimus zu erreichen sei. Dies ist bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Die Kammer hält die Angaben des behandelnden Arztes für plausibel und damit eine positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf dahingehend, dass die verbleibende Lebenszeit der Antragstellerin augrund der Behandlung mit Teemsirolimus mit geringeren Beschwerden einhergeht und gegebenenfalls sogar aufgrund geringerer Kompilkationen verlängert wird, für möglich.

Da keine wirtschaftlich günstigere, aber gleich wirksame Therapieoption besteht, kann es hier auch auf die Wirtschaftlichkeit nicht ankommen.

Sozialgericht  Osnabrück am 16.8.2022  - S 18 KR 161/22 ER

Das Sozialgericht  Osnabrück hat unter dem 16.8.2022  - S 18 KR 161/22 ER - eine einstweilige Anordnung erlassen, nach der die GKV verpflichtet ist, den Antragsteller mit zwölf Gaben Temsirolimus nach Verordnung der behandelnden Ärzte zu versorgen.

Sachverhalt

Der Antragsteller ist an einem Glioblastom erkrankt. Die Erkrankung ist weit fortgeschritten, zweites Rezidiv mit Progress. Eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Leistung steht nicht mehr zur Verfügung.

Entscheidungsgründe

Für den Anwendungsbereich der Regelung des § 2 Abs. 1a SGB V gilt ein modifiziertes Qualitätsgebot. Der zur Bejahung der Wirksamkeit einer Leistung erforderliche Grad an wissenschaftlicher Evidenz lässt sich in diesen Fällen nicht allgemein bestimmen. Vielmehr sind Differenzierungen im Sinne der Geltung abgestufter Evidenzgrade vorzunehmen. Je schwerwiegender eine Erkrankung und je „hoffnungsloser die Situation“ ist, desto geringere Anforderungen sind an die „ernsthaften Hinweise auf einen nicht ganz entfernt liegenden Be-handlungserfolg" zu stellen.

Ob sich aus den von dem Krankenhaus dargelegten Erwägungen im Ergebnis hinreichende Indizien für eine positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf beim Antragsteller ableiten lassen können, vermag das Gericht einerseits nicht abschließend zu beurteilen. Hierzu bedürfte es medizinischen Sachverstands und voraussichtlich der Einholung eines fachärztlichen Gutachtens. Dieses Beweismittel kann im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht beschafft werden. Die weitergehende Klärung muss insoweit dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Andererseits erscheint es aber jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass diese Frage zu bejahen ist. Das Krankenhaus stützt seine Behandlungsempfehlung auf Ergebnisse einer einschlägigen Studie der Phase II (Temsirolimus bei Glioblastom-Patientinnen- und Patienten ohne MGMT-Promotor-Methylierung)......

Ist hiernach der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, überwiegt bei der vorzunehmenden Abwägung das Interesse des Antragstellers, mit der Arzneimitteltherapie sofort beginnen zu können. Dem Antragsteller kann nicht zugemutet werden, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Während bei einem gedachten Unterliegen des Antragstellers in der Hauptsache eine Erstattung der Aufwendungen für die Behandlung mit Temsirolimus in Betracht kommt, könnte im umgekehrten Fall die jetzige Behandlungssituation bei zu erwartendem Fortschreiten der Erkrankung nicht wiederhergestellt werden.

Fazit:

Patienten, die an einem Glioblastom erkrankt sind, bei denen nach leitliniengerechter Behandlung einen Rezidiv auftritt und bei denen eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Leistung nicht mehr zur Verfügung steht, haben Anspruch auf eine Behandlung mit Bevacizumab (Avastin®) bzw. Temsirolimus (Torisel®). Während sich zu Bevacizumab bereits eine gefestigte Rechtsprechung im einstweiligen Rechtschutz durch Entscheidungen der Landessozialgerichte in Bayern, Niedersachsen-Bremen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein gebildet hat, haben sich nach hiesigem Kenntnisstand erst zwei Sozialgerichte mit Temsirolimus befasst und jeweils dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattgegeben.

Betroffene sollten sich auch in der letzten Lebensphase die Ihnen zustehenden Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung besorgen, notfalls mit gerichtlicher Hilfe und durch einstweilige Anordnungen. Gesetzliche Krankenversicherungen scheinen die schwierige Lebenssituation auszunutzen, indem sie immer wieder Leistungen verweigern, auf die Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung einen Anspruch haben. Kosten für die Versichertengemeinschaft haben hierbei außer Betracht zu bleiben.


Ein Fachbeitrag aus dem DIRO-Netzwerk

Beitrag veröffentlicht am
26. September 2022

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